Homosexuelle

Verfolgung Homosexueller in Viersen
am Beispiel von Heinrich Kamps

Überregionales
Homosexualität in Deutschland war lange Zeit, besonders während der Zeit des Nationalsozialismus und in den ersten beiden Jahrzehnten nach Gründung der Bundesrepublik Deutschland, von diskriminierender Gesetzgebung und Verfolgung betroffen. 

Die "gefährliche Seuche"

Ausgrenzung traf nicht nur die politischen Gegner des Nationalsozialismus, sondern auch jene, die nicht den Leistungs- und Verhaltensanforderungen des NS-Regimes entsprachen. Die Verfolgung sozialer Außenseiter war wesentlich für die Herausbildung der nationalsozialistischen „Volksgemeinschaft". Betroffen hiervon waren auch die Homosexuellen, deren Lebensweise als „gefährliche Seuche" galt. Ihre in den rheinischen Großstädten, vor allem in Köln und Düsseldorf besonders ausgeprägte Subkultur wurde durch Razzien, Verhaftungsaktionen und Lokalschließungen sowie die Verhängung von Gefängnisstrafen und KZ-Haft nach und nach zerstört. Auch gewöhnliche Rückfallstraftäter und die so genannten „Asozialen", Randgruppen wie Bettler, Landstreicher, Unterhaltssäumige, Prostituierte oder sexuell von der Norm abweichende Frauen, waren mit Entrechtung und verschärfter Verfolgung konfrontiert. 
(Roth, Thomas, 1933 bis 1945 - Nationalsozialismus und Zweiter Weltkrieg, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: 

Da Schwule und Lesben nicht zur Fortpflanzung der „Herrenrasse“ beitrugen, standen sie der Ideologie der Nationalsozialisten entgegen. 

Homosexuelle Männer wurden – zumeist nach Verbüßung einer Strafhaft aufgrund der 1935 verschärften §§ 175 und 175a RStGB – in Konzentrationslager verschleppt und nach Einführung der Winkel-Kennzeichnung mit dem Rosa Winkel markiert. 
Lesbische Frauen wurden nicht wegen ihres Lesbischseins verfolgt, aber es wurden jüdische oder politisch missliebige (z. B. im kommunistischen Widerstand aktive) Lesben aus diesen Gründen ebenfalls verschleppt. Eine besondere Kennzeichnung von Lesben ist nicht nachweisbar. 
Ernst Röhm, homosexueller Führer der Sturmabteilung (SA), wurde zunächst von Adolf Hitler geschützt. Hitler empfand ihn jedoch später als Bedrohung und ließ ihn während der „Nacht der langen Messer“ töten. Schwule wurden von Hitler als „Volksfeinde“ denunziert. Er betrachtete Homosexualität als ein „entartetes“ Verhalten, das die Leistungsfähigkeit des Staates und den männlichen Charakter des deutschen Volkes bedrohe. Der Paragraph 175 wurde 1935 durch die Ausweitung auf sämtliche „unzüchtigen“ Handlungen extrem verschärft. Das schloss nicht nur die bislang straffreie wechselseitige Onanie ein. Theoretisch sollte nun bereits das „bloße Anschauen des geliebten Objekts“ oder das „bloße Berühren“ dafür ausreichen, bestraft zu werden. Auch das bisher straffreie „Streicheln, Umarmen, Küssen u. dgl.“ wurde nun mit Gefängnis bedroht. Neu geschaffen wurde § 175a, der „schwere Fälle“ der Unzucht mit Zuchthausstrafen bis zu zehn Jahren bedrohte.
Am 10. Juni 1936 wurde die Reichszentrale zur Bekämpfung der Homosexualität und Abtreibung gegründet. Ihre Einrichtung war der Auftakt für die nach den Olympischen Spielen 1936 wieder verstärkt einsetzende Homosexuellenverfolgung. Die Aufgabe der Reichszentrale bestand vorrangig in der Sammlung von Daten über Homosexuelle. Die Rosa Liste enthielt schließlich Dateien von etwa 100.000 als homosexuell bestrafter oder verdächtiger Männer. 
Homosexuelle Männer wurden in Zuchthäusern und Gefängnissen, aber auch in den Konzentrationslagern durch Folter und Misshandlung zu „freiwilligen“ Anträgen auf Kastration genötigt und kastriert. 
Im Konzentrationslager Buchenwald führte der dänische SS-Arzt Carl Værnet 1944 Menschenversuche zur „Heilung“ durch. Er implantierte den Opfern künstliche Hormondrüsen in der Leistengegend, die durch die permanente Abgabe männlicher Hormone zu Heterosexualität führen sollten. 
Der seit der Reichsgründung geltende und von den Nazis erheblich verschärfte § 175 StGB („Unzucht zwischen Männern“) wurde 1957 in der DDR auf sexuelle Handlungen mit Jugendlichen unter 21 Jahren beschränkt. Dieses so genannte Schutzalter wurde 1968 auf 18 Jahre herabgesetzt. 
Das bedeutete aber nicht, dass sich Toleranz breitmachte. Homosexualität galt als Laster der Bourgeoisie. Schwul-lesbische Emanzipation wurde unterbunden.
1989 strich die Volkskammer der DDR ihre gegen Homosexualität gerichtete Sondergesetzgebung (§ 151) ersatzlos, das Schutzalter lag somit wie bei Heterosexuellen bei 14 Jahren. Dieses Schutzalter war in den neuen Bundesländern bis zum 9. März 1994 rechtswirksam, zeitgleich existierte in den alten Bundesländern ein Schutzalter von 18 Jahren nach § 175.
Nach der Wiedervereinigung
Der Deutsche Bundestag vereinheitlichte 1994 durch Aufhebung des § 175 das Schutzalter für Homo- und Heterosexuelle auf 14 bzw. 16 Jahre im Zuge der Rechtsangleichung nach der deutschen Wiedervereinigung. Dadurch sank mit Wirkung zum 10. März 1994 das Schutzalter für Homosexuelle in Westdeutschland, während es in Ostdeutschland für Homo- und Heterosexuelle in Teilbereichen stieg.
Ab dem Ende der 1990er Jahre wurde in Deutschland um die staatliche Anerkennung von gleichgeschlechtlichen Paaren gekämpft, die im Februar 2001 zur Verabschiedung des Lebenspartnerschaftsgesetzes führte. Seit Anfang der 2010er wurde darüber hinaus die Einführung der gleichgeschlechtlichen Ehe gefordert. 
Am 27. Juni 2017 hob Bundeskanzlerin Angela Merkel für die Bundestagsabgeordneten von CDU und CSU den Fraktionszwang für eine Abstimmung über die Freigabe der gleichgeschlechtlichen Ehe auf. Beim Abstimmungsverhalten handle es sich um eine Gewissensentscheidung der einzelnen Abgeordneten. 
Am 30. Juni fand eine Abstimmung über die gleichgeschlechtliche Ehe im Bundestag statt. Das Gesetz wurde mit einer deutlicher Mehrheit von 393 zu 226 Stimmen verabschiedet; die Kanzlerin selbst stimmte dagegen. Am 7. Juli 2017 wurde die „Öffnung der Ehe“ auch im Bundesrat beschlossen. Am 21. Juli 2017 wurde das Gesetz von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier unterzeichnet. 
Seit dem 1. Oktober 2017 können gleichgeschlechtliche Paare heiraten. Bis September 2017 eingegangene Lebenspartnerschaften können auf Antrag in Ehen umgewandelt werden. Am 6. März 2018 verzichtete Bayerns Staatsregierung auf eine Klage vor dem Bundesverfassungsgericht.

Ein Viersener Schicksal
Heinrich Kamps

Heinrich (Christian) Kamps wurde am 3. März 1902 in Viersen in der elterlichen Wohnung geboren als Sohn der Eheleute Heinrich und Anna Maria Kamps, geb. Peters. Außerdem hatte Heinrich Kamps mindestens eine bekannte, jüngere Schwester.
Heinrich Kamps war katholisch, ledig und von Beruf Färber. Er wurde zweimal verurteilt wegen homosexueller Kontakte. Erstmals geriet er im Jahr 1925 wegen eines homosexuellen Kontaktes „in die Mühlen der Justiz“. Er wurde zu 6 Monaten Gefängnis nach §175 in der Fassung des Kaiserreichs von 1871 verurteilt. Akten aus
dieser Zeit konnten nicht gefunden werden. Ab diesem Zeitpunkt galt er als Straftäter, war vorbestraft.
Erneut wurde er verfolgt wegen eines homosexuellen Kontaktes zu August Zgorzelski mit Gerichtsurteil des Landgerichtes Duisburg vom 15. August 1941 und verurteilt zu einem Jahr Gefängnishaft. Da er zu diesem Zeitpunkt bereits wegen einer anderen Sache in Haft war (vermutlich Betteln), ist
das rechnerische Ende der Haft nicht bekannt. Aufgrund seiner mehrfachen Verurteilung nach § 175 und wegen des Bettelns wurde er vom Landgericht als „asozialer Mensch“ ausgegrenzt. Er war in Haft in Remscheid-Lüttringhausen und wurde danach in polizeiliche Vorbeugehaft genommen durch die Kripo Wuppertal.
Danach folgte die Deportation in das KZ Buchenwald am 2. April 1943. Er wurde in dem KZ registriert als Häftling Nr. 4569 mit dem Zusatz/Kürzel „SV“ (Sicherungsverwahrung) und „BV“ (Berufsverbrecher). Die Kategorie „Homo“ oder „§175“ oder ähnliches wurde ihm nicht zugewiesen. Damit wurde er auch nicht für alle Personen im Lager (Wachpersonal und Häftlinge) als Homosexueller erkennbar gemacht.

In Buchenwald lebte Heinrich Kamps nur noch kurze Zeit. Sein Tod wurde im KZ dokumentiert für den 27. April 1943. Die angebliche Todesursache sei eine „linksseitige Lungenentzündung“ gewesen – eine beschönigende und falsche Formulierung für einen systematisch herbeigeführten Tod durch schwerste Zwangsarbeit unter Mangelernährung, begleitet von gewaltsamen Schikanen, Quälereien und Folterungen durch die SS-Wachmannschaften und bei katastrophalen hygienischen Bedingungen im Lager. Erstaunlicherweise wurden der Vater und auch die in Viersen wohnende Schwester unmittelbar über den Tod informiert, denn es ist ein Brief erhalten geblieben, den die Schwester bereits einen Tag nach dem Tod ihres Bruders am 28.4.1943 an das KZ Buchenwald schrieb. Der dortige Eingang ist bereits für den 2. Mai 1943 dokumentiert. Wie auch im Falle von Zgorzelski, dessen Vater Hermann Zgorzelski im Jahr 1944 ebenfalls nach dem Tod seines Sohnes Post und Nachlasspaket aus Buchenwald bekam, wurde auch Vater Heinrich Kamps in Viersen benachrichtigt. Der perfekte bürokratische Abschluss des Verwaltungsvorganges durch die SS kann als Beleg dafür dienen, wie kleinteilig die „Organisation des Todes“ im NS-Staat funktionierte – auch noch im Jahr 1944 trotz massiver Kriegseinwirkungen. Es existiert ein Einzahlungsbeleg mit der Aufrechnung der Auslagen für Paketgebühr und Überweisungskosten. Auch August Zgrozelski wurde in Buchenwald ermordet. Am letzten Wohnort von August Zgrozelski in Duisburg, Obermauerstr. 81 wurde am 12. Sept. 2018 ein Stolperstein zur Würdigung und Erinnerung an August Zgrozelski verlegt von dem Künstler und Schöpfer der Stolpersteine, Gunter Demnig. Das ehemalige dortige Wohnhaus sowie Großteile der Duisburger Innenstadt wurden im zweiten Weltkrieg zerstört. Die jetzige Lage des Steines ist auf dem Fußweg „Rabbiner-Neumark-Weg“ in Höhe der Stadtmauerreste an der Junkernstraße. August Zgorzelski und Heinrich Kamps waren zwei von mehreren Tausend Männern, die während der NS-Zeit wegen Homosexualität verfolgt wurden. Verhöre, Folterungen, Kastrationen („freiwillig“), Gefängnis, Zuchthaus und KZ-Deportationen oder Verbringung in Euthanasie-Anstalten oder den sozialen Tod im beruflichen und privaten Umfeld durch ein „Outing“ im Zusammenhang mit der juristischen Verfolgung überlebten viele nicht.
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