Protestanten

Verfolgung der Protestanten in Viersen
am Beispiel von Pfarrer Jarcke aus Süchteln

Überregionales
Hitler wollte eine einheitliche Reichskirche für die deutschen Protestanten und ihre 28 Landeskirchen. Dies führte zu einer Spaltung der Deutschen Evangelischen Kirche (DEK). Bei den Kirchenwahlen 1933 erreichten die Deutschen Christen (DC) etwa 70% der Stimmen. Ihr Ziel war es, die Kirche für den Nationalsozialismus zu gewinnen, Staat und Kirche gleichzuschalten. 
Im September 1933 wurde Hitlers Vertrauensmann Ludwig Müller auf der ersten deutschen Nationalsynode in Wittenberg zum Reichsbischof gewählt. Als Opposition gegen die vom NS-Regime dominierte Kirchenpolitik bildeten sich zunächst freie Synoden und Pfarrerbruderschaften. Im Mai 1934 tagte in Barmen schließlich die „Erste Bekenntnissynode der DEK“ und verabschiedete die Barmer Theologische Erklärung. Dies war die Geburtsstunde der Bekennenden Kirche (BK). (Schäfer, Ulrich, in: Die Evangelische Kirchengemeinde Viersen, VIE 2004, Seite 85)
Dass christliche Verweigerung vor allem auf die Verteidigung des kirchlichen Raumes gerichtet war, galt auch für den evangelischen Bereich und die „Bekennende Kirche", die etwa in Wuppertal, Düsseldorf und Essen wichtige Aktivitätszentren hatte.

Systematische Überwachung von Predigten und Veranstaltungen

Die Vertreter der „Bekennenden Kirche", die sich im Mai 1934 mit der Barmer Erklärung eine gemeinsame Grundlage gaben, lehnten eine Verknüpfung von christlicher Verkündigung und herrschender Weltanschauung ab, kritisierten das von den „Deutschen Christen" errichtete autoritäre Kirchenregiment und verkündeten ein „Notrecht" gegen die Ansprüche des totalen Staates. Die ins Leben gerufenen „freien" Gemeinden, Presbyterien und Synoden unterlagen zwar polizeilicher Überwachung und Einschüchterung, so lange sich die „Bekennenden" auf den innerkirchlichen Konflikt konzentrierten, blieben sie aber von weitergehenden Sanktionen verschont. 
(Roth, Thomas, 1933 bis 1945 - Nationalsozialismus und Zweiter Weltkrieg, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: http://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Epochen-und-Themen/Epochen/1933-bis-1945---nationalsozialismus-und-zweiter-weltkrieg-/DE-2086/lido/57ab25d840b824.40615976 (abgerufen am 07.02.2020)
Weite Kreise der evangelischen Bürgerschaft hatten die Machtergreifung der Nazis zu Anfang begrüßt und waren bereit, den Aufbau einer autoritären, betont national und antikommunistisch ausgerichteten Herrschaft mitzutragen. Damit schien sich der Protestantismus zunächst eher als Stabilitätsfaktor der NS-Herrschaft denn als Hindernis zu erweisen. Für das Regime bestand anfangs auch keine Veranlassung, mit Gewaltmaßnahmen gegen Personen und Organisationen der evangelischen Kirche vorzugehen, da nicht -wie im katholischen Bereich- eine traditionell führende Partei (das „Zentrum“) und ein weitverzweigtes kirchliches Verbandssystem zu beseitigen waren. ( Schüngeler, Heribert, Widerstand und Verfolgung in Mönchengladbach und Rheydt, MG 1985, Seite 304-309 )

Die Fronten des Kirchenkampfes verliefen quer durch die Gemeinden oder unterschieden sich in den Nachbargemeinden: Pfarrer Emil Totzeck in Viersen war Mitglied der NSDAP und stellte nach dem Krieg belasteten Personen Leumundszeugnisse („Persilscheine“) aus. Im Gegensatz hierzu zählte die Pfarre in Süchteln zur „Bekennenden Kirche“, deren Widerstand zwar nicht auf den politischen Umsturz und die Beseitigung des Regimes gerichtet war, aber über die Verteidigung der bekenntnismäßigen Kirchenordnung und der kirchlichen Wirkungsmöglichkeiten, wie sie auch eine dritte Gruppierung, die „Neutralen“ betrieben, hinausging. Zumindest bis zum Kriegsausbruch ist auch bei Pfarrern der „Bekennenden Kirche“ die politische Befangenheit erkennbar. Ihre Haltung gegenüber dem Nationalsozialismus blieb lange Zeit ambivalent.
Die Gestapo war besonders bemüht, kritische Äußerungen von der Kanzel herab zu unterdrücken und die Wirkungsmöglichkeiten der BK-Pfarrer allgemein einzuschränken: Systematische Überwachung ihrer Predigten und Veranstaltungen, Verbot der Verbreitung von BK-Schriften, Versammlungs- und Redeverbote, Vorladungen und Verhöre und schließlich Festnahme und Haft. Hierbei stützte sich die Gestapo auf Denunzianten aus der Kirchengemeinde ( so auch im Falle des Dülkener Organisten, der der BK ablehnend gegenüber stand und Predigtmitschriften an die Gestapo weiter leitete).

Ein Viersener Schicksal

Pfarrer Jarcke

Kampf gegen die Deutschen Christen in Süchteln

Zu Beginn der nationalsozialistischen Regierung hatte sich die Evangelische Kirche im Deutschen Reich gespalten: in die nationalsozialistische Strömung der „Deutschen Christen“ (1932-1945) und in die Oppositionsbewegung „Bekennende Kirche“ (gegründet 1934).

Das Presbyterium in Süchteln, also die gewählten Vertreter der evangelischen Kirchengemeinde, hatte sich schon im Juni 1934 unter Pfarrer Immanuel Pack zur sogenannten Bekenntnissynode der Deutschen Evangelischen Christen bekannt, also zur Bekennenden Kirche. Pfarrer Pack wechselte 1935 nach Essen. Über die anstehende Pfarrerwahl wurde festgelegt, „daß … nur ein Pastor aus der Bekenntnissynode der Deutschen Evangelischen Christen gewählt werden“ (Bürger S. 64). Die beiden nationalsozialistischen Anhänger der „Deutschen Christen“ traten daraufhin im April 1935 aus dem Presbyterium in Süchteln aus: Kirchmeister Heinrich Schmitz und Julius Sczesny.
„Um sicher zu gehen, nun auch einen Bekenntnispfarrer zu wählen, ließ sich das Presbyterium von der Bekenntnissynode im Rheinland fünf Kandidaten vorschlagen und wählte am 8.7.1936 den Hilfsprediger Karl Schloß … zum neuen Pfarrer“ (Bürger S. 65).

Der Deutsche Christ Heinrich Schmitz war zwar aus dem Presbyterium ausgetreten, war aber noch als Organist in der evangelischen Kirche in Süchteln tätig, wo der Bekenntnispfarrer Wilhelm Jarcke aus Mönchengladbach im Januar 1939 einen Vortrag hielt. „Organist Schmitz zeigt ihn an, Jarcke wird von der Gestapo verhaftet und gegen ihn ein Verfahren eingeleitet, das jedoch nach Kriegsbeginn niedergeschlagen und Jarcke freigesprochen wird“ (Bürger S. 69).

Was war im einzelnem geschehen? Die Gestapo-Akten im Landesarchiv in Duisburg (Akte: RW 58 Nr. 43807) geben dazu genauer Auskunft:

Pfarrer Jarcke gilt in den Akten der Gestapo als ein „eifriger Anhänger und scharfer Verfechter des Bekenntnisgedankens, der im Kirchenkampf wiederholt unliebsam hervorgetreten“ sei. Mehrfach war er bereits angeklagt und mit Redeverbot bestraft worden. Der Vortrag, den Jarcke aus Mönchengladbach am 1. Februar 1939 in der evangelischen Kirche in Süchteln hielt, hatte den Titel: „Die Notwendigkeit christlicher Jugenderziehung.“ Jarcke sagte in Süchteln unter anderem: „Unsere Kinder befinden sich heute im Jungvolk und HJ in großer Gewissensnot. Kinder werden am laufenden Band vereidigt. Es ist eine Inflation geistiger Begriffe eingetreten. Eltern sollen die Apostelgeschichte lesen für Petrus den Namen Niemöller und für den Hohen Rat die betreffende heutige Stelle einsetzen, dann lesen wir genau, was heute vor sich geht.“ (Martin Niemöller hatte 1934 mit Dietrich Bonhoeffer die Oppositionsbewegung „Bekennende Kirche“ begründet.)

Zu dieser Predigt in Süchteln erläuterte der Deutsche Christ Heinrich Schmitz am 28.02.1939 der Polizei: „In der fraglichen Predigt war ich auch in der Kirche anwesend, und zwar hatte ich hinter der Orgel Platz genommen. … Der Pfarrer Jarcke hat die Ausdrücke, wie sie in der Meldung aufgeführt sind, wörtlich gebraucht. Ich habe mir sofort die fraglichen Redewendungen notiert. Dadurch, daß ich meinen Platz hinter der Orgel hatte, war es mir möglich, unbeobachtet Notizen zu machen. Nach der Predigt schimpften verschiedene Kirchenbesucher über die gehaltene Predigt. Zu berücksichtigen ist allerdings, daß die meisten protestantischen Bewohner der Gemeinde der Bekenntnisfront angehören und dadurch mit dem Pfarrer Jarke überhalten. ...“

Schmitz hatte der Polizei zwei Zeuginnen genannt, die aber gegen Pfarrer Jarcke keine belastenden Aussagen machen wollten. Der zuständige Kriminal-Obersekretär traute diesen beiden Zeuginnen nicht. Er vertrat die Auffassung: „Der Lehrer Schmitz dürfte als wirklich objektiver Zeuge zu betrachten sein. Er hat bei der Predigt hinter der Orgel gesessen und … sich hier sofort den genauen Wortlaut der einzelnen Redewendungen notiert.“

Die Gestapo in Düsseldorf stellte am 22.3.1939 fest: „Die Äusserungen des Pfarrers Jarke stellen einen Verstoss gegen das Heimtückegesetz dar. Hierzu verweise ich insbesondere auf die in der Meldung des SA-Sturmes 22/40 vom 13.2.1939 wiedergegebenen Äusserungen über Röhm, Schlageter und Horst Wessel sowie auf die weiteren Äusserungen über den Petrus-Niemöller und Hoher Rat - „betreffende heutige Stelle“.

Pfarrer Jarcke nahm dazu Stellung: „Es ist richtig, daß ich in dem Vortrage auf Apostelgeschichte 3,4 und 5 hingewiesen habe und den Zuhörern geraten habe, in diese Kapitel die heutige Namen einzusetzen, um den Kirchenkampf zu verstehen. Ich bestreite, durch diese Ausführungen heimtückische Angriffe gegen den Staat oder die Bewegung ausgeführt zu haben. Aus meinem Bericht Abs. 2 Seite 2 dürfte hervorgehen, daß ich lediglich den Gang der Kirche Jesu Christi in dieser Zeit klarmachen wollte. Petrus hat sr. Zt. (seiner Zeit) im Gefängnis gesessen, weil er Gott mehr gehorchen wollte als den Menschen, in Sachen der Kirche und zwar in ihrer Verkündigung und ihrer Leitung. Nach meiner Überzeugung ist auch Niemöllers Haft so zu verstehen. Wenn ich von dem hohen Rat und der betreffenden heutigen Stelle gesprochen habe, so meine ich damit das heutige Reichskirchenministerium. Ich kann das heutige Kirchenregiment nur als öffentliche Verwaltungsstelle, nicht aber als geistliche Kirchenleitung anerkennen.“

Nach der Denunziation durch den Süchtelner Deutschen Christen Heinrich Schmitz wurde Jarcke wegen „Heimtückevergehens“ angezeigt, aufgrund des Gnadenerlasses, dem Amnestiegesetz vom 9.09.1939, jedoch wieder freigesprochen.

In Süchteln geht insbesondere Bekenntnispfarrer Karl Schloß und Vorsitzender des Süchtelner Presbyteriums gegen den Deutschen Christen Heinrich Schmitz vor. Am 27. März 1939 schrieb Schloß an Schmitz, er habe auf der Weihnachtsfeier 1938 „ehrverletzende Äußerungen über das Presbyterium gemacht“ und zwar folgende: „Wenn ich die Heuchler da unten in der ersten Bank sitzen sehe, dann möchte ich am liebsten hingehen und sie hinaustreiben ...“ Schloß verlangte, dass Schmitz die Äußerung innerhalb von acht Tagen zurücknehme, sonst „werden Sie (Schmitz) wohl bereit sein, von sich aus die Konsequenzen zu ziehen.“

Die evangelische Kirchengemeinde in Süchteln kündigte ihrem Organisten, Heinrich Schmitz, am 26.04.1939. Schmitz meinte dazu, es sei klar, „daß der Fall Jarcke die treibende Kraft all dieser Manipulationen war. Ich sollte also beseitigt werden, weil ich als Organist auch die Interessen des Staates und der Partei vertreten habe.“ Schmitz hatte das Kündigungsschreiben erhalten, akzeptierte aber nicht die Kündigung zum 1. 7.1939, sondern nur zum Quartalsersten, also zum 30.9.1939.
Deswegen hatte er seinen Platz an der Orgel in der evangelischen Kirche in Süchteln Anfang Juli 1939 nicht geräumt. Schmitz: „Als ich mit dem Eingangslied einsetzte, kam Kirchmeister Platzen die Orgelbühne herauf und drehte den Strom ab, worauf das Orgelspiel aussetzte ...“
Der Süchtelner Pfarrer Karl Schloß sprach danach im Gottesdienst Klartext: „Unser rechtmäßiger Organist ist ab heute Erich Horn, er wird leider am Orgelspiel gehindert.“

Literatur/Quellen:
Bürger, Rolf: Von der „nach Gottes Wort reformirten“ zur „Evangelischen“ Gemeinde Süchteln, o.O. und o.J.
Landesarchiv Duisburg: RW 58 Nr. 43 807.


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