Justiz in Viersen

Justiz in Viersen 1933-45

Volksgerichtshof und Reichsgericht spielten auch bei der Verurteilung von hiesigen Mitbürgern eine Rolle. An entsprechenden Stellen ist dies in der „Virtuellen Gedenkstätte“ (www.virtuelle-gedenkstaette-viersen.de ) vermerkt.


Hier finden Sie Informationen zu den Institutionen der Justiz, welche maßgeblich an der Rechtsprechung und dem Vollzug in Viersen beteiligt waren.


Grundlegende Informationen zum Justizsystem in der Zeit von 1933-45 finden Sie hier .

(Bitte klicken Sie auf die blau hinterlegte Schrift)

Das Oberlandesgericht Düsseldorf

Das OLG Düsseldorf verfügte 1931 über 11 Zivilsenate und 1 Strafsenat. Es war zuständig für 3,5 Millionen Einwohner, u.a. für den kompletten linken Niederrhein (1947 existierten nur noch 5 Zivilsenate und 1 Strafsenat). Nachgeordnet waren u.a. das LG Mönchengladbach und die AG Viersen und Dülken.
Am OLG angegliedert war die Generalstaatsanwaltschaft. Von 1937 bis 1945 war hier zuständig Franz Hagemann, nach „Entnazifizierung“ in die Kategorie 3 („Mitläufer“) eingruppiert, der mit 63 Jahren 1948 in den Ruhestand verabschiedet wurde. Das Verfahren wegen Beihilfe zum Mord wurde 1970 eingestellt wegen Verhandlungsunfähigkeit.

Mehr als die Hälfte der Richter war bis 1937 in die NSDAP eingetreten. Fast 90% der Richter, die zwischen 1938 und 1945 befördert wurden, waren „Parteigenossen“.
1933 war Wilhelm Schwister OLG-Präsident. 1941 nahm er an einer Tagung der OLG-Präsidenten und Generalstaatsanwälte in Berlin teil, bei der sie über das „Euthanasie“-Vorhaben aufgeklärt wurden. Da er sich weigerte, in die NSDAP einzutreten, wurde er am 27.7.1943 in den Ruhestand versetzt. Ihm folgte der besonders linientreue Paul Windhausen, der bereits 1923 in die SA, 1929 in die NSDAP eingetreten war. SA-Standartenführer, SS-Abschnittsleiter, Gauleiter des Nationalsozialistischen Rechtswahrerbundes. Er arbeitete nach dem Krieg als Anwalt.


Am 17.4.1945 schloss die Militärregierung das OLG, um es am 20.12.1945 wieder zu eröffnen. OLG-Präsident wurde der von den Nazis degradierte und 1937 in den Ruhestand versetzte Heinrich Lingemann.
In den ersten Nachkriegsjahren nutzte die wieder begründete jüdische Gemeinde den Plenarsaal des OLG als Gebets- und Versammlungsstätte.
1932 waren Sondergerichte an den LG Düsseldorf, Kleve, Duisburg-Hamborn, Gladbach-Rheydt, Krefeld-Uerdingen und Wuppertal eingerichtet worden. Anfang 1933 wurden sie aufgelöst und am 21.3.1933 auf ein einziges beim LG Düsseldorf reduziert. Der Anstieg der Verfahren führte zum 1.7.1942 zur erneuten Umstrukturierung: Bei den LG Wuppertal und Duisburg wurden eigene Sondergerichte installiert. Bei Düsseldorf verblieben die LG-Bezirke Düsseldorf, Krefeld und Mönchengladbach. Am 10.1.1945 kam noch Kleve hinzu.

Sondergericht

Als Sondergericht fungierte das OLG Hamm. Das OLG Hamm war das zweitgrößte OLG im Reich (heute ist es das größte in der Bundesrepublik).
OLG-Präsident Rudolf Schneider unterstützte die Nazis von Anfang an vorbehaltlos. Das OLG wurde zu einer Stütze der nationalsozialistischen Diktatur. Bis 1945 verurteilten dessen politische Strafsenate mehr als 15.000 Regimegegner wegen „Vorbereitung zum Hochverrat“ oder -nach Kriegsbeginn- auch wegen „Wehrkraftzersetzung“ zu langjährigen Zuchthausstrafen. Ähnlich hart bestraften die dem OLG unterstehenden Sondergerichte in Bielefeld, Dortmund, Essen und Hagen weitere 12.000 Angeklagte nach dem „Heimtückegesetz“, der „Verordnung gegen Volksschädlinge“ etc. Das OLG und die Sondergerichte verhängten mindestens 350 Todesurteile. Kein anderes Gericht -auch nicht der Volksgerichtshof- urteilte zwischen 1934 und 1945 mehr Menschen in politischen Verfahren ab als das OLG Hamm. Rechtsmittel gab es nicht. Auch hiesige Mitbürger wurden dort verurteilt. Das größte „Massenverfahren“ (gegen SPD-Mitglieder) fand gegen insgesamt 162 Angeklagte statt. Der Prozess wurde nach regionalen Gesichtspunkten in drei Unterprozesse aufgeteilt. Alle drei fanden statt im Schwurgerichtssaal des Duisburger Landgerichts, der dritte Teil vom 27.7. bis 4.8.1936 mit 45 Angeklagten, u.a. aus Viersen, Dülken, Süchteln.
1943 wurde Hans Semler OLG-Präsident, ein überzeugter Nazi und „Alter Kämpfer“. Auf eigenen Wunsch kam er 1944 zur Wehrmacht. Der Dienstbetrieb am OLG kam Anfang 1945 völlig zum Erliegen. Ende Mai/Anfang Juni verfügten die Besatzungsmächte die Wiedereröffnung. Der zum OLG-Präsidenten bestimmte Dr. Ernst Hermsen, von Insassen der KZ und Zuchthäuslern „Henker des Ruhrgebiets“ genannt, musste 1946 sein Amt aufgeben. 

Landgericht Mönchengladbach

Das Landgericht Mönchengladbach, Hohenzollernstr.157: Präsidenten Dr. Karl Führ (1.8.1930 bis 31.11.1933), Dr. Paul Starting (1.12.1933 bis 30.11.1937), Karl Struve (1.12.1937 bis 5.8.1945), Dr. August Münker (6.8.1945 bis 31.7.1948); Oberstaatsanwalt Dr. Krusinger.
Starting, förderndes Mitglied der SS, blieb bis zur Pensionierung aus Altersgründen im Amt. Sein Nachfolger Struve trat bereits zum 1.5.1933 in die NSDAP ein. 1948 wurde er von den Alliierten in die Kategorie IV (Mitläufer) eingestuft.
Die „Säuberung“ der Justiz durch das „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ im April 1933 blieb in den Justizbehörden in Mönchengladbach ohne Folgen. Kein Richter oder Staatsanwalt war jüdischer Herkunft oder wurde von den Nazis als politischer Gegner eingestuft.
Die gerichtliche Verfolgung des Widerstands wurde überwiegend andernorts durchgeführt. Als „Hochverrat“ beurteilte Handlungen aus dem LG-Bezirk wurden vor dem VGH in Berlin oder in minderschweren Fällen vor dem OLG Hamm verhandelt. Für regimekritische Äußerungen im Sinne des neugeschaffenen „Heimtückegesetzes“ war das neu eingerichtete Sondergericht Düsseldorf zuständig. Dennoch kamen auch in MG die diskriminierenden und menschenverachtenden NS-Gesetze zur Anwendung. Nach dem Krieg gab es dort auch Strafverfahren gegen NS-Beteiligte.
Zwei Beispiele:
Am LG verurteilte eine Strafkammer ab 1935 in mehreren Fällen jüdische Mitbürger wegen „Rassenschande“ zu Zuchthausstrafen, u.a. 1938 Dr. Berthold Lazar, der bereits 1933 wegen seiner jüdischen Herkunft in Königsberg aus dem Richteramt entlassen worden war. Nach Verbüßung von Haft und Aufenthalt im KZ Sachsenhausen floh Lazar nach Palästina. Nach dem Krieg wurde er Richter am LG, sicherlich eine Ausnahmegeschichte.
Das Schwurgericht am LG verurteilte Anfang 1934 zwei Viersener Kommunisten (Johann Konnertz und Jakob Sch.). Im Übrigen tagte es nach dem Krieg am 16.6.1950 wegen Ausschreitungen in der „Reichspogromnacht“ in der „Königsburg“/Süchteln. Angeklagt waren 6 Männer wegen Demolierung des jüdischen Betsaales und Zerstörung der Wohnungseinrichtungen bei Jakob Lifges, Geschwistern Baum und Leopold Baum. Das Urteil erging bereits am Nachmittag: Die Angeklagten Pascher und Wefers wurden zu je 7 Monaten Gefängnis auf Bewährung verurteilt. Das Verfahren gegen Hunold und Mieland wurde eingestellt, weil es unter das „Gesetz über die Gewährung von Straffreiheit“ vom 31.12.1949 fiel. (Das „Amnestiegesetz“ erlaubte die Verfahrenseinstellung u.a., wenn eine Freiheitsstrafe bis zu 6 Monaten allein oder in Verbindung mit einer Geldstrafe bis zu 5.000.- DM zu erwarten war). Drießen und Schnäbler wurden mangels Beweises freigesprochen (Details siehe www.virtuelle-gedenkstaette-viersen.de ). 

Amtsgericht Mönchengladbach

Das AG Mönchengladbach war für den LG-Bezirk Sitz des „Erbgesundheitsgerichts“. Die von dort angeordneten Zwangssterilisationen wurden für den Viersener Beritt ausnahmslos im Allgemeinen Krankenhaus (AKH), Hoserkirchweg, durchgeführt. Leiter des AKH und Chefarzt der chirurgisch-gynäkologischen Station ab 1.1.1909 bis zu seinem Tod am 21.2.1939 : Dr. Hans Elter, Adolf-Hitler-Str.20 (heute: Bahnhofstr.). Sein Nachfolger wurde durch Beschluss vom 3.3.1939 Dr. Leo Martens, der zuerst als Assistent und ab 1932 als Oberarzt des Hauses und Vertreter von Elter tätig war. Vorsitzende des AKH-Vorstandes: Oberbürgermeister Gebauer (*1902,+1955, nach dem Krieg Anwalt in Wuppertal), danach OB Dr. Koch (*1894,+1957), beide Nazis und Juristen. Erbgesundheitsakten befinden sich im Stadtarchiv MG.

Amtsgericht Viersen

Das Amtsgericht Viersen, Dülkenerstr. 5, wurde nach dem Krieg durch einen Neubau an gleicher Stelle ersetzt. Zum AG zählten die Gemeinden Viersen, Neersen, Schiefbahn und Süchteln.
Leiter des AG war Amtsgerichtsrat und „Parteigenosse“ Dr. Ludwig Cohnen, Dülkenerstr. 66a, der in Alt-Viersen auch Ansprechpartner des „Bundes Nationalsozialistischer Deutscher Juristen“ (BNDJ) war.
Amtsgerichtsrat Dr. Albert Rahser, Rektoratstr.28, eckte bei den Nazis an und wurde von der Gestapo verhört. Nach Wiedereröffnung des AG am 12.11.1945 wurde er dort Leiter. 
Oberamtsrichter Rohmann.
Das AG hat seine Geschichte zwischen 1933 und 1945 und danach nicht aufgearbeitet und beabsichtigt dies auch nicht (Stand: Januar 2019).

Amtsgericht Dülken

Das Amtsgericht Dülken, Klosterstr.24, wurde Ende 1969 aufgehoben. Im „Dritten Reich“ zählten hierzu die Gemeinden Dülken, Boisheim, Bracht, Brüggen, Amern und Waldniel.
Leiter des AG Dülken war Amtsgerichtsrat Huesgen. Sprecher des BNDJ war „Parteigenosse“ . Amtsgerichtsrat Rintelen.
In den Gefängniszellen des AG wurden u.a. 1944 drei Kommunisten eingesperrt.


Rechtsanwälte / Staatsanwaltschaft

In Dülken gab es 1928 drei Anwälte/Notare, u.a. Dr. Schöny, Beigeordneter, Dienstanschrift 1936: Amt Viersen (Adresse 1928: Viersener Str.1, 1936: Viersener Str.55). Keine jüdischen Juristen.

In Schritten wurde auch beim LG zugelassenen Rechtsanwälten die Existenzgrundlage entzogen. Die „Fünfte Verordnung zum Reichsbürgergesetz“ vom 27.9.1938 hob alle Anwaltszulassungen von „Nichtariern“ auf. Nur wenige jüdische Ex-Anwälte durften danach noch als „Konsulenten“ tätig werden, unter entehrenden Schikanen. Einziger „Konsulent“ in MG war Isidor Fürst (*25.8.1876, +16.3.1956). „Konsulenten“ durften nur Juden vertreten. Ehemalige jüdische Anwälte aus dem Raum MG wurden in KZ oder Arbeitslager verschleppt. Einigen gelang die Emigration. 
Als Widerständler in Reihen der Staatsanwaltschaft MG ist bekannt Martin Gauger, der aus dem Staatsdienst entlassen wurde, weil er den Amtseid auf Hitler verweigerte. Mitglied der „Bekennenden Kirche“. Vergast im Juli 1941 in der „Euthanasie“-Tötungsanstalt Pirna-Sonnenschein.  
Das Gros der Juristen unterstützte die Nazijustiz oder passte sich an. In MG war dies nicht anders.

1928 gab es in Alt-Viersen 8 Anwälte und Notare (in Süchteln nur einen Notar), u.a. Dr. Carl Schaub, Lindenstr.31 (später: Schlageterstr.31), der hier nach 1945 erster Bürgermeister und dann Stadtdirektor wurde. Als Anwalt tätig war auch Dr. Karl Villinger, Sittarder Str.1a/Hauptstr.93, Vertreter des „Kampfblocks Schwarz-Weiß-Rot“. Seit 1933 NSDAP-Mitglied, Vorsitzender der Ortsgruppe „Der Werwolf“ und Vorsitzender „Stahlhelm“. Stadtverordneter. 1936 gab es in Alt-Viersen 13 Anwälte und Notare ( Schmitz I nicht mehr aufgeführt, Wolters nach Dülken verzogen). Neu hinzu kamen Dr. Dumoulin -Notar-, Dr. Löhrer, Dr. Mahron, Müller, Dr. Pötter -auch zugelassen am LG Mönchengladbach-, Püllen -vertrat Dumoulin beim Zwangsverkauf des jüdischen Gemeinde-/Gebetshauses in der Rektoratstraße- , Dr. Schiffer, Schmitz III - Süchteln unverändert). 
Jüdische Anwälte spielten bei diesen Veränderungen keine Rolle. Es gab sie im gesamten Viersener Stadtgebiet nicht.
1947 eröffnete Rechtsanwalt Dr. Ulrich Hillenkamp (*5.4.1912) in Viersen auf der Hauptstraße eine Kanzlei. Er war zuvor Militärrichter (Oberstabsrichter beim Armeeoberkommando 17) und ist als einziger Viersener überhaupt im „Braunbuch“ in der Sammlung belasteter Personen aufgeführt. Hillenkamp saß dann für die CDU im Stadtrat, war Vertreter des Bürgermeisters und Vorsitzender des Verkehrsvereins Süchteln.

Bezirksverwaltungsgericht

Das Bezirksverwaltungsgericht befand sich in Düsseldorf. Dort konnte man gegen Verwaltungsunrecht klagen.

Gestapo

Die Gestapo-Leistelle befand sich für unser Gebiet in Düsseldorf, ortsnahe nachgelagerte Stellen befanden sich in Mönchengladbach -11 Mitarbeiter- und (ab 1937) in Krefeld -ca.20 Mitarbeiter- und in Kaldenkirchen -8 Mitarbeiter.
In Mönchengladbach zunächst im alten Amtsgericht, während des Dritten Reichs ab 1.6.1933 im alten Polizeipräsidium, Windthorststr.5/Kyffhäuserstraße:
Am 19. April 1926 wurde die 3. Cottbusser Hundertschaft nach Rheydt verlegt, die dann als 2. Hundertschaft bezeichnet wurde. Sie wurde in der heute noch bestehenden Grundschule an der Dohler Straße untergebracht. Mönchengladbach bekam am 20. Januar 1927 eine Hundertschaft aus Berlin-Kreuzberg zugeteilt. Die hieß dann 1. Hundertschaft und zog in das Ledigenheim für Arbeiterinnen an der Paulstraße, heute Weichselstraße. Das Gebäude wurde im Zweiten Weltkrieg zerstört. Erster offizieller Polizeipräsident für Mönchengladbach-Rheydt wurde im März 1927 Jakob Isenrath, der als entschiedener Gegner der Kommunisten und Nationalsozialsozialisten galt. Er soll sogar eine geplante Kundgebung mit Joseph Goebbels als Teilnehmer untersagt haben. So verwundert es nicht, dass er im Herbst 1933 endgültig aus seinem Dienst entlassen wurde.
In dem Gebäude am Spatzenberg, in dem das Polizeigefängnis und die Kriminalinspektion bis dahin untergebracht waren, hielt die Gestapo fortan Menschen zum Verhör fest. Das Polizeipräsidium während des Dritten Reichs war in einem Gebäude an der Windthorststraße. Nach dem Zweiten Weltkrieg zog man an die Bismarckstraße.
Seit 1946 befand sich das Polizeipräsidium in der Theodor-Heuss-Str. 145.

Leiter der Gestapo in Mönchengladbach war Kriminalobersekretär Heinrich Beckers, der nach dem Krieg zusammen mit seinen Mitarbeitern Wilhelm Abels und Peter Kiefer strafrechtlich verurteilt wurde (im Detail siehe unter „Beteiligte“ bei www.virtuelle-gedenkstaette-viersen.de ). U.a. wurde in Mönchengladbach der spätere Dülkener Bürgermeister Hermann Dortans schwer misshandelt.
In Krefeld war die Gestapo zunächst im Polizeipräsidium, Am Hauptbahnhof 2, untergebracht, später dann in der Goethestraße. Dort erfolgten im Rahmen der „Schutzhaft“ Verhöre, Folterungen und die Organisation der Transporte in die KZ, die in Düsseldorf-Derendorf im dortigen Schlachthof zusammengestellt wurden. 

In der „Reichspogromnacht“ wurden jüdische Mitbürger im Luftschutzkeller des Viersener Rathauses in „Schutzhaft“ genommen (u.a. Katz, Katzenstein, Nussbaum).

Schutzpolizei und die Kripo

Die Nationalsozialisten nutzten die Kriminalpolizei zunächst für einen neuen Kampf gegen Bettler, Außenseiter, Dirnen, Trinker und „Arbeitsscheue“. Die Kripobeamten versprachen sich eine neue Zeit: Im „Dritten Reich“ sollte es kaum noch Kriminalität geben, und die Kriminalisten verstanden sich als „Ärzte am Volkskörper“. Gleichzeitig wuchs der Zuständigkeitsbereich enorm an: Als „Kriminalpolizeileitstelle“ war die Kripo Düsseldorf ab 1936 für die „Verbrechensbekämpfung“ in der gesamten Region verantwortlich. Sie überwachte die Arbeit der Kripo am Niederrhein, im Ruhrgebiet und fast in ganz Westfalen. 
Neben der regulären Fahndungs- und Ermittlungsarbeit beteiligten sich die Beamten immer aktiver an den Verbrechen des NS-Regimes: Menschen wurden als angebliche „Asoziale“, „Gemeinschaftsfremde“ oder „Volksschädlinge“ regelrecht „aussortiert“ und in Konzentrationslager verschleppt. Sie wurden Opfer einer brutalen „Reinigung des deutschen Volkskörpers von unerwünschten Elementen“. 
Das verantworteten die Kriminalisten von Rhein und Ruhr jedoch nicht nur an der „Heimatfront“, sondern nach Kriegsbeginn auch nahezu im gesamten besetzten Europa. Die Kommissare, von denen viele über Jahrzehnte hinweg im Dienst waren, beteiligten sich an Massenerschießungen, der Ghettoüberwachung und angeblicher „Bandenbekämpfung“. Kripobeamte aus Düsseldorf und dem Rhein-Ruhrgebiet wurden zu Kriegsverbrechern. 
Das Jahr 1945 beendete zwar die Strukturen und Massenverbrechen der nationalsozialistischen Kriminalpolizei, nicht aber die einzelnen Karrierewege der Beamten. Viele verblieben im Dienst – bis weit in die Nachkriegszeit hinein.
Die Schutzpolizei und die Kripo unterstanden in Viersen ab dem 1.1.1925 dem Polizei-Oberinspektor Josef Mersmann (*1.11.1885, +19.9.1943). Dessen Vorgesetzter war Oberbürgermeister Dr. Gilles als Polizeiverwalter (im Rahmen der Gleichschaltungsmaßnahmen im Mai 1933 beurlaubt), für 2 Monate der linientreue Wolff, später Gebauer. Gebauer leitete noch als kommissarischer OB ein förmliches Dienststrafverfahren gegen Mersmann ein, dem u.a. zu große Sympathien für die Linken nachgesagt wurde, was dieser heftig bestritt. Mersmann ließ sich wegen wiederholt vorgebrachter Klagen der Nazis am 6.3.1933 beurlauben. Gleichzeitig wurde die Kommandogewalt über die gesamte Polizei an Polizeihauptmann Reupcke übergeben. Am 1.8.1933 versetzte man Mersmann in den Ruhestand. Anfang Juli schied Reupcke aus und kehrte nach Odenkirchen zurück. Dessen Nachfolger wurde zum 17.6.1933 SS-Sturmbannführer Nöhles aus Mönchengladbach.

Anfänglich kam es gelegentlich zu Zusammenstößen zwischen Schutzpolizei und SS. Am 7.2.1933 schossen die SS-Männer Karl Schmidt und Hans Mertens auf die Viersener Polizeibeamten Wilhelm Inderbiethen und Gustav Jünemann. Die schwer verletzten Polizisten wurden nach Krankenhausentlassung zum 1.1.1934 in den Ruhestand versetzt. Eine Verurteilung der beiden Täter ist nicht bekannt. Schmidt starb kurz vor Kriegsbeginn, Mertens als Soldat im Krieg (Details siehe bei www.virtuelle-gedenkstaette-viersen.de ). 

Ergänzend zum Wechsel an der Polizeispitze trat eine personelle Aufstockung der Polizei durch Einstellung von Hilfspolizisten (reichsweit 50.000, in Viersen bis Ende 1933 76 Mann). Sie rekrutierten sich in Viersen hauptsächlich aus der SS. Die Polizei war damit auch in Viersen bereits kurz nach der Machtverleihung von Hindenburg an Hitler (beide Ehrenbürger der Stadt Viersen) gleichgeschaltet.
Verhaftete wurden u.a. im Gefängnis am Spatzenberg in Mönchengladbach untergebracht.

Gefängnis Anrath

Im Männerstrafgefängnis / Frauenzuchthaus in Anrath wurden missliebige Personen aus der Region und dem Ausland (Holland, Frankreich, Österreich, Polen, Russland …), also KPD- und SPD-Mitglieder, Kriegsgefangene, Fremdarbeiter, Juden, überwiegend politische Gefangene, eingesperrt. Beispiele: Der Leiter des Krefelder Unterbezirks der KPD, Aurel Billstein; Gewerkschafter und SPD-Landtagsabgeordneter Fritz Lewerentz; die Nichte des französischen Außenministers und Résistance-Führers Georges Bidault. Die Gefangenen litten unter Hunger und Kälte, verheerenden Hygienemängeln, härtesten Strafen bei kleinen Verfehlungen. Einige verhungerten qualvoll (so der öster. Abt Bernhard Burgstaller,*14.2.1886,+1.11.1941, der bei seinem Tod weniger als 40 Kilo wog), einige begingen Selbstmord oder starben an den Langzeitfolgen der Haftbedingungen (z.B. die Zisterzienser Leopold Haiberger -*25.10.1887,+6.4.1945- und Karl Reisinger -22.8.1892,+24.3.1953-). „Die Hölle von Anrath“. Todesurteile wurden dort nicht vollstreckt (aber Insassen zur Ermordung in die KZ oder z.B. nach Wien zurück geschickt, z.B. der Theologiestudent Hanns Georg von Heintschel-Heinegg,*5.9.1919, enthauptet am 5.12.1944 in Wien.  Weitere Anrather Sträflinge wurden in Wien am 10.5.1944 enthauptet). Gefangene wurden intern und extern zur Zwangsarbeit eingesetzt.
Das „Weibergefängnis“ hieß ab 1926 „Frauengefängnis“, seit 1941 umbenannt in „Frauenzuchthaus“. Beide Anstalten waren vor der Nazi-Diktatur meist nicht vollständig belegt. Die durchschnittliche Belegung des Frauenhauses lag in den Jahren 1928-29 bei etwa 100-120, die des Männerhauses bei 310-330. Im November 1933 betrug die Gesamtbelegung 1.040 Menschen, also mehr als das Doppelte. 

Mit Beginn des 2.Weltkriegs wurden die nach Auffassung der Nazis weniger Kriminellen aus der Haft entlassen und zum Militärdienst eingezogen. Die Belegung sank deshalb für beide Häuser vorübergehend auf ca. 500. Mit der Eroberung fremder Gebiete stieg die Zahl. 1943 stellten Ausländer bereits die Mehrzahl der Belegung dar. Verurteilte kamen überwiegend aus den Niederlanden, Belgien und Polen, während Untersuchungs- und Schutzhäftlinge vornehmlich aus Frankreich und Österreich überstellt wurden. Allein 1943 gab es nahezu 2.600 Neuzugänge. Die Gestapo verlegte daraufhin ständig Gefangene in andere Strafanstalten oder in KZ (bevorzugt Mauthausen, Auschwitz und Buchenwald). Einweisungen in Anrath erfolgten bis zum 9.2.1945.
Das Anrather Gefängnis unterhielt in organisatorischer Einheit mit der Krankenabteilung eine „Kriminalbiologische Forschungsstelle“, die bei der Durchführung des „Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ vom 14.7.1933 mitwirkte, sprich: der Antragstellung beim „Erbgesundheitsgericht“ Krefeld und der Überstellung von Insassen an für Kastrationen oder Sterilisationen vorgesehene Kliniken.
Leiter der Männeranstalt und des Frauenzuchthauses waren Fischer von 1925 bis zum 28.2.1934, Kemming von 1934 bis 1939 und von 1939 bis 1945 Regierungsrat Dr. Bodo Lothar Combrinck (*10.4.1903, + …………), Gartenstr.5 (später: Krefeld, Waldhofstr.178), Jurist, NSDAP-Mitglied und Absolvent der „NS-Ordensburg“ Vogelsang/Eifel. Ex-Häftling, der Wiener Kaplan Heinrich Zeder: “..ein ganz wüster, ein SS-Mann ersten Ranges,…, brutale Macht.“ Die Amerikaner nahmen am 17.4.1945 den nach dem Krieg unter falschem Namen („Kroenpring“) untergetauchten Combrinck fest und verurteilten ihn zu einer Gefängnisstrafe von 2 Jahren. Am 20.3.1947 wurde er aus der Haft (zuletzt in Dachau) entlassen. Am 12.3.1948 von den Engländern erneut in Haft genommen. Am 10.8.1948 Brief mit Bitte um Leumundszeugnis an den Bischof von Aachen, der im Sommer 1944 das Frauenzuchthaus besucht hatte. Vom Militärgericht am 5.10.1948 verurteilt zu 1,5 Jahren Gefängnis. Haftantritt: 15.10.1948, „bedingte“ Entlassung am 4.10.1949.
Ein vom „Leiter der Zentralstelle im Lande Nordrhein-Westfalen für die Bearbeitung von nationalsozialistischen Massenverbrechen bei der Staatsanwaltschaft Dortmund“ erneut eingeleitetes Ermittlungsverfahren wegen Mordes bzw. Beihilfe zum Mord im Tatzeitraum 1941 bis 1945 (einem noch nicht abgeurteilten Tatkomplex) wurde gem. §170 Abs.2 StPO am 5.12.1990 eingestellt.
Combrinck arbeitete nach dem Krieg/nach Haftentlassung als Anwalt in Krefeld.

Der damalige Anstaltsarzt war seit 1937 und auch noch nach dem Krieg Medizinalrat Dr. Carl Thurn, Anrath, Gartenstr.7. Dr. Eugen Witte, Anrath, Neersenerstr 34, in der Strafanstalt von 1938 bis 1946 als stellvertretender Anstaltsarzt tätig, Leiter des kath. Gemeindekrankenhauses, wurde am 31.7.1948 von den Engländern in Haft genommen. Von ihm in der Strafanstalt ausgestellte Todesbescheinigungen halten als Todesursache fest: Arteriosklerose, Blutsturz, Lungenentzündung. Er war ebenfalls (in Anrath) weiterhin ärztlich tätig.
Leiterin der Frauenabteilung war Regierungsrätin Dr.Paula Wirtz (*29.2.1904, +……..), NSDAP-Mitglied.

Am 16.9.1944 Teilevakuierung des Frauenzuchthauses. Gefängnisunterlagen wurden größtenteils unmittelbar mit Einmarsch der Amerikaner am 1.3.1945 vernichtet, aber auch noch 1975. Krankenakten 1938-45 aus dem Männergefängnis und Urteile befinden sich im Landesarchiv in Duisburg.
Vor dem Einmarsch der Amerikaner saßen in der Anrather Strafanstalt 481 männliche Gefangene ein; davon 54 Wehrmachtshäftlinge, 129 Schutzhäftlinge und 298 Strafgefangene, wovon sich 168 auf Außenarbeitsstellen befanden.
Das Frauenhaus war mit 729 Zuchthausgefangenen belegt, wovon 462 Frauen auf 40 Außenarbeitsstellen verteilt waren. Arbeiten im Zuchthaus waren: Tätigkeiten in der Militärschneiderei der Anstalt, Stricken/Sticken, Nähen, Waschen. Außerhalb überwiegend in Industrieunternehmen. Nach Angaben von Combrinck kamen ca. 300 Frauen aus dem Ausland (Frankreich, Belgien, Luxemburg, Holland).
Die Insassen des Männerhauses produzierten Briefumschläge (Arbeitssoll: 1.600 Stück pro Person täglich) und Tarnmatten.
Außerhalb der Strafanstalten wurde Zwangsarbeit auch in „Bauernkommandos“ verrichtet (z.B. Anbauen von Steckrüben in angetriebenem Tempo und knieend) sowie bei der Beseitigung von Fliegerschäden und bei der Bombenentschärfung („Himmelfahrtskommandos“).
Der Arbeitseinsatz aller Justizgefangenen wurde vom Reichsministerium zentral gelenkt. Dort existierte eine Kartei, die genaue und aktuell gehaltene Angaben über den beruflichen Werdegang, den Grad der Einsatzfähigkeit, die Einsatzmöglichkeit und den derzeitigen Einsatz der einzelnen Gefangenen enthielt. Diese wurden in Zusammenarbeit mit dem Reichsminister für Rüstung und Kriegsproduktion sowie den sonst für den Einsatz zuständigen Stellen eingesetzt. Ihr Arbeitseinsatz wurde ständig überprüft mit dem Ziel, sie weitestgehend für Fertigungen der höchsten Dringlichkeitsstufe zu verwenden. Reichsweit sind von März bis August 1944 über 24.000 Gefangene der Rüstungsindustrie zugeführt worden. 7.600 Sicherungsverwahrte („Unwertes Leben“) waren gezielt für härteste Arbeiten bei Mangelernährung vorgesehen, „Vernichtung durch Arbeit“.
Die Anrather Strafanstalt entsandte ZwangsarbeiterInnen in Außendienstarbeitsstellen der Firmen Rheinische Kunstseide AG, Krefeld-Linn; Kaisers-Kaffee-Geschäft, Viersen; Zuckerfabrik Pfeifer+Langen, Krefeld-Uerdingen; Vonken, St.Hubert; Schäfer, Viersen; Schages, Kaarst; Böhlerwerke, Heerdt; Plücken+Sturm, Neuss; Gebr. Wahlefeld, Krefeld-Linn; Stadt Kempen; Krücken, Krefeld; Schmitz+Co, Lank; IG Farben AG, Krefeld-Uerdingen . 


Bei der hektischen Auflösung der Strafanstalten wurden viele Gefangene entlassen (267 Frauen,32 Männer). Der Rest -281 (205?) Männer und 372 (422?) Frauen- musste in Richtung Krefeld marschieren. Vorher hatte man die 42 zum Tode verurteilten Wehrmachtsangehörigen in das Gefängnis Duisburg-Hamborn/per LKW nach Düsseldorf gebracht. Lediglich 12 Militärgefangene mussten im Treck mitmarschieren. Einige Gefangene flohen beim Marsch, 80 Frauen wurden laufen gelassen. 34 vorsichtig zu behandelnde Zivilgefangene (Persönlichkeiten aus den vormals besetzten Gebieten) wurden mit einem Firmenwagen der Rheinischen Kunstseide AG nach Düsseldorf gebracht. In Krefeld wurden der Gestapo 103 Schutzhäftlinge übergeben. Die restlichen 102 Männer mussten weiter nach Düsseldorf, wo weitere 67 entlassen wurden, so dass 67 verblieben, zu denen noch 109 Gefangene von den Anrather Außenarbeitsstellen gelangten. 12 Wehrmachtssträflinge wurden dem „Standortältesten“ in Düsseldorf übergeben. Die restlichen Gefangenen (160 Männer) kamen über Wuppertal zum Zuchthaus Remscheid-Lüttringhausen. – 68 weibliche Gefangene blieben in Krefeld wegen völliger Erschöpfung zurück, so dass in Düsseldorf 208 ankamen, die ebenfalls per Bahn über Wuppertal nach Lüttringhausen verbracht wurden.
Die Strafanstalt Anrath wurde am 2.3.1945 von den Amerikanern besetzt. Im Dienstwohngebäude Gartenstr.6 wurde die Kommandantur eingerichtet. Anstaltsmitarbeiter wurden überwiegend mehrmonatig in Belgien interniert, dann freigelassen und nach „Entnazifizierung“ wieder in Dienst genommen.
Zurück
Share by: